Philipp Rhein hat die Endzeit-Vorstellungen von AfD-WählerInnen untersucht. Abstiegsängste und nostalgische Sehnsüchte spielen bei ihnen keine Rolle.

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Was treibt Menschen an, die AfD zu wählen – wo die Partei kaum durch inhaltliche Konzepte auffällt, sondern vor allem durch interne Zerstrittenheit und destruktives Auftreten?

Zunächst hatte ich als Motive Ängste vor Abstieg oder Deklassierung erwartet. Doch letztlich hat das keine Rolle gespielt. Genauso wenig wie die nostalgischen Sehnsüchte nach einer verklärten Vergangenheit. Mit Zuordnungen wie „Ewiggestrige“ würde man die AfD-WählerInnen nur verharmlosen. Das zentrale Charakteristikum meiner InterviewpartnerInnen ist eine nihilistische Wut. Sie entzündet sich an einem Unvermögen, sich eine Zukunft vorzustellen.

Können Sie das genauer ausführen?

Die Zukunftsvorstellungen meiner InterviewpartnerInnen umfassen keine konkreten politischen Visionen oder Utopien, sondern sind äußerst bilderarm. Sie sind eigentlich nur definiert durch eine sehr abstrakte Negation des Status quo. Die Jetzt-Zeit wird durchweg als Katastrophe wahrgenommen. Für meine InterviewpartnerInnen ist die „Normalität“, die meist auf die Lebensform einer heterosexuellen Kleinfamilie bezogen ist und auf weißen, deutschen Identitätsprivilegien beruht, abhandengekommen; Krise ist zum Dauerzustand und Zukunft zu einem Bedrohungsszenario geworden. Sie blicken auf die Welt mit apokalyptischen Bildern und vertreten Endzeitdystopien.

Zukunftsvorstellungen dieser und ähnlicher Art finden sich aktuell allerdings nicht nur unter Rechten. Zudem sind gegenwärtige Gesellschaften insgesamt kaum durch lebhafte, vorwärtsgerichtete Visionen geprägt. Was genau versprechen sich Ihre InterviewpartnerInnen von ihrer Entscheidung für die AfD?

Auf narzisstisch hohle Weise begreifen sie sich als Teil einer Elite, die als vermeintlich auserwählte Gruppe den Untergang der Gesellschaft durchschaut. Das lesen sie vor allem daran ab, dass sie glauben, beständig Opfer von Ausgrenzungen und Anfeindungen zu werden, nur weil sie nonkonformistisch unterwegs seien. Gerade dieses Erleben aber ist es, das sie als eine Art Vorherbestimmung dafür deuten, nach dem erwarteten Untergang als auserwählte Elite das Ruder an sich reißen zu können. Streng genommen passt deshalb der Begriff des Populismus nicht mehr. Denn meine InterviewpartnerInnen verstehen sich nicht als „schweigende Mehrheit“, sondern als Elite inmitten einer Endzeit.

Welche Rolle spielen dabei die Idee eines Ausnahmezustands sowie Gewalt- und Reinheitsfantasien?

Gerade wegen ihrer zukunftsverschlossenen Endzeitvorstellungen und Untergangserwartungen könne aus ihrer Sicht auf „Befindlichkeiten“ wie Demokratie sowie Pluralismus keine Rücksicht mehr genommen werden. Notfalls müsse mit Gewalt „durchregiert“ werden. Einer meiner Interviewpartner bemühte ein Bild, wonach unsere Gesellschaft mit Booten auf einen Wasserfall hinzurudere. Ein Boot aber fange an, gegen den Strom zurückzurudern. Darauf, dass „ausgerechnet“ in diesem Boot Rechtsextreme und Gewaltbereite sitzen, könne keine Rücksicht genommen werden – wo das Boot doch das einzige ist, das das Unheil vorhersieht und Rettung verspricht. Wozu sind Menschen bereit, die in solchen Zukunftsbildern denken?

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    fedilink
    Deutsch
    810 months ago

    Interessanter Artikel, vor allem weil ich diesen hier von von letzter Woche noch im Kopf habe: https://www.volksverpetzer.de/analyse/beheimatung-warum-afd-waehlen/ Da sehe ich teilweise Parallelen (verlorener Zukunftsglaube), aber durchaus auch Unterschiede (Sehnsüchte nach dem Früher).

    Ich glaube die Politik tut gut daran hier der Forschung zuzuhören, auch wenn die sich noch nicht so ganz sicher ist woran “et jetzt jelegen hat”. Es verdichten sich ja die Anzeichen, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich gesellschaftlich komplett entfremdet fühlt und mit der Version unseres Landes, die die Politik verkauft irgendwie nichts anfangen kann.

    Und dann müssen wir anfangen Lösungen zu bauen. Wie die aussehen weiß ich aktuell auch noch nicht, aber wir können bei 20% der Bevölkerung, die bereit ist sich von Faschisten regieren zu lassen, nicht zur Tagesordnung übergehen.