Der Anführer der Wagner-Miliz hat offenbar den Stab des Südlichen Militärbezirks in Rostow eingenommen. Putin hat im Ringen zwischen Freischärlern und Militär lange keine Stellung bezogen. Das rächt sich jetzt.
Für den Kreml durchlebt Russland gerade einen bewaffneten Putschversuch. Dagegen beschreibt Jewgenij Prigoschin einen „Marsch für Gerechtigkeit“ – und darin konnte der 62 Jahre alte Anführer der Wagner-Miliz keine zwölf Stunden nach Beginn der jüngsten Volte der Eskalation seines Dauerringens mit der Militärführung einen ersten Erfolg erzielen. Offenbar treffen Berichte zu, denen zufolge Prigoschins Leute den Stab des Südlichen Militärbezirks in der südwestrussischen Stadt Rostow am Don kontrollieren.
Sonst wäre es kaum zu Bildern gekommen, die Prigoschin im Gespräch mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Junus-Bek Jewkurow sowie mit Wladimir Alexejew, einem stellvertretenden Leiter des Militärgeheimdiensts GRU, zeigen und die der mit Wagner verbundene Telegram-Kanal „Grey Zone“ veröffentlicht hat. Prigoschin sagt auf den Aufnahmen, man werde alles vernichten, was gegen seine Leute aufgeboten werde. Er spricht von schon drei Abschüssen. Jewkurow atmet tief durch, sagt dann etwas, was Prigoschin auffahren lässt: „Wer sind Sie, mich zu duzen?“, fragt er Jewkurow. Der siezt ihn fortan. Prigoschin sagt, man sei gekommen, um Generalstabschef Valerij Gerassimow und Verteidigungsminister Sergej Schojgu aufzugreifen.
„Wir retten Russland“
Das sind die beiden Widersacher, deren Erschießung Prigoschin schon öffentlich gefordert hat. Ihnen gilt sein neuer, innerrussischer Feldzug. Solange man die beiden nicht bekomme, bleibe man hier, blockiere Rostow. „Wir gehen nach Moskau“, sagt er auch. Prigoschin verspricht Schojgus Stellvertreter, das reguläre Militär nicht daran zu hindern, die Truppen in der Ukraine aus Rostow zu befehligen. GRU-Mann Alexejew sagt, in Kiew werde jetzt gefeiert. Prigoschin hält ihm entgegen, das größere Fest sei bei dem Rückzug aus (ostukrainischen) Orten wie Lyman und Isjum gewesen, die das russische Militär im vergangenen Herbst verließ. „Wir fliehen nirgendwohin“, sagt Prigoschin. „Wir sind gekommen, um die Schande des Landes zu beenden, in dem wir leben.“ Prigoschin sagt auch: „Wir retten Russland.“
In einem anderen Video, das ebenfalls aus dem Stab des Südlichen Militärbezirks stammen soll, sagt Prigoschin, Wagner kontrolliere den Militärflughafen von Rostow. Jedoch nur, damit die Luftwaffe ausschließlich die Ukrainer angreife und „nicht uns“. Man habe im Stab in Rostow „viel Neues“ herausgefunden, sagt Prigoschin: Es fielen drei- bis viermal mehr Soldaten, als das „nach oben“ gemeldet werde. Und was dorthin gemeldet werde, sei immer noch zehnmal mehr als das, was „im Fernsehen“ erzählt werde. Auf russischer Seite fielen zu 1000 Personen am Tag, würden verwundet oder verschwänden, sagt Prigoschin. Generalstabschef Gerassimow sei aus Rostow geflohen, als er erfahren habe, dass „wir kommen“, sagt Prigoschin und nickt dann einer Frau freundlich zu, die an ihm vorüber geht, wohl zur Arbeit im Stab.
Wie sich Prigoschins Aufstand entwickeln wird, ist am Samstagmorgen unklar. Eine weitere, frühe Folge jedoch ist offensichtlich: Der Milizenführer hat den Bogen nun wirklich so überspannt, dass sich Wladimir Putin einschalten muss. Über Monate hatte der Präsident dem immer weiter eskalierenden Machtkampf zwischen Prigoschin und Schojgu augenscheinlich tatenlos zugesehen. Er hatte nicht nur die ständigen Attacken des vom Gastrounternehmer zum Chef von Internetkommentatoren und Söldnern avancierten Prigoschin auf die Militärführung hingenommen, sondern offenkundig auch die auf ihn selbst, Putin, zielenden Worte vom „glücklichen Großvater“, der sich aufgrund seiner Entrücktheit von realen Problemen an der Front als „vollendete Arschgeige“ erweisen könne.
Noch, als am Freitagabend bereits wüste Drohungen Prigoschins kursierten, veröffentlichte der Kreml ein Grußwort Putins zum „Tag der Jugend“ an diesem Samstag. Darin lobt der Präsident „die jungen Soldaten und Offiziere“, die „jetzt mutig und zuverlässig zum Schutz der Sicherheit und Souveränität unseres Staates aufgestanden sind“.
Am Samstag um zehn Uhr Moskauer Zeit wendet sich Putin dann mit einer kurzen Ansprache an die Bevölkerung, besonders aber an „diejenigen, die durch Täuschung oder Drohungen in dieses kriminelle Abenteuer gelockt und auf den Weg des schwersten Verbrechens, der bewaffneten Meuterei, getrieben wurden“. Putin spricht vor den braunen Paneelen, die Betrachter schon von seiner Ansprache zum Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 kennen. Russland, so der Präsident weiter, kämpfe um „um seine Zukunft“, müsse eine „Aggression von Neonazis und ihrer Herren“ abwehren; damit meint er den zum Verteidigungskampf stilisierten Ukrainekrieg.
„Praktisch die gesamte Militär-, Wirtschafts- und Informationsmaschinerie des Westens ist gegen uns gerichtet“, klagt Putin. „Wir kämpfen für das Leben und die Sicherheit unserer Leute, für unsere Souveränität und Unabhängigkeit. Für das Recht, Russland zu sein und zu bleiben – ein Staat mit einer tausendjährigen Geschichte.“ Dieser Kampf, sagt Putin, erfordere „die Einheit aller Kräfte, Einigkeit, Konsolidierung und Verantwortung“. Darin müsse „alles, was uns schwächt, jede Art von Zwietracht, die unsere äußeren Feinde nutzen können und nutzen, um uns von innen zu untergraben, beiseite geschoben werden“. Putin nennt Prigoschin in der gesamten Ansprache nicht beim Namen, spricht von „Aktionen, die unsere Einheit spalten“. Die seien ein „Abfall vom eigenen Volk, von unseren Kampfkameraden, die gerade an der Front kämpfen. Es ist ein Stoß in den Rücken unseres Landes und unseres Volkes.“„Unsere Maßnahmen werden hart sein“
Dann wird Putin, wie oft in seinen Reden, historisch, vergleicht die Lage mit der von 1917, „als das Land den Ersten Weltkrieg führte“ und spricht von der „Tragödie des Bürgerkriegs“ zwischen den Anhängern des Zaren und der Bolschewiken. „Russen töteten Russen, Brüder töteten Brüder“ und den Nutzen hätten „alle möglichen politischen Abenteurer und ausländischen Kräfte“ gehabt, „die das Land spalteten und auseinanderrissen“. Putin sagt: „Wir werden nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt. Wir werden sowohl unser Volk als auch unsere Staatlichkeit vor allen Bedrohungen schützen. Auch vor dem inneren Verrat.“ Eben damit habe man es jetzt zu tun: „Übertriebener Ehrgeiz und Eigeninteressen haben zu Verrat geführt. Verrat am eigenen Land, am eigenen Volk und an der Sache, für die die Kämpfer und Kommandeure der Gruppe Wagner an der Seite unserer anderen Einheiten gekämpft haben und gestorben sind.“
Putin würdigt Eroberungen von Orten, die mit Wagner verbunden werden, erinnert an sein „Neurussland“-Expansionsprojekt und die „Einheit der russischen Welt“. Diejenigen, die nun den „Aufstand“ anzettelten, verrieten auch diejenigen, die dafür ihr Leben gegeben hätten, trieben „das Land zu Anarchie und Brudermord“, letztlich „in Richtung Niederlage und Kapitulation“.
Putin kündigt an: „Unsere Maßnahmen zur Verteidigung des Vaterlandes gegen eine solche Bedrohung werden hart sein. All diejenigen, die bewusst den Weg des Verrats eingeschlagen haben, die einen bewaffneten Aufstand vorbereitet haben, die den Weg der Erpressung und der terroristischen Methoden eingeschlagen haben, werden die unvermeidliche Strafe erleiden, werden sich sowohl vor dem Gesetz als auch vor unserem Volk verantworten müssen.“„Stoß in den Rücken“ der russischen Soldaten
Bis zu den Bildern aus Rostow vom Samstagmorgen, die Prigoschin mit Jewkurow und Alexejew zeigten, war der Aufstand freilich recht virtuell geblieben, wie eine neue Geschichte auf dem Pressedienst-Telegram-Kanal des Milizenführers zeigt. Dort erschienen am Freitagmorgen zunächst neue Einlassungen Prigoschins gegen Schojgu. Letzteren machte er für die Ende Februar 2022 begonnene große Invasion der Ukraine verantwortlich. Er folgte damit dem Muster, sich als Putins bester Kämpfer darzustellen und den „betrogenen“ Präsidenten zu entlasten. Doch bezeichnete Prigoschin Putins „Spezialoperation“ als „stümperhaft geplant“ und unterlief zugleich ein Kernnarrativ des Präsidenten, indem er sagte, die Ukraine und die NATO hätten nicht vorgehabt, Russland anzugreifen.
„Der nächste Schritt wird unser sein“
Bald darauf verbreitete Prigoschin, dass er Anzeige gegen Schojgu und Gerassimow erstattet habe. Sie müssten sich wegen „Genozids am russischen Volk, Tötung Tausender friedlicher russischer Bürger und der Übergabe russischer Gebiete an den Feind“ verantworten. Er bezog sich offenbar auf zeitweise von Russland besetzte Gebiete, aus denen sich die Invasoren dann unter ukrainischem Druck zurückzogen, wie die von ihm dann am Samstagmorgen in Rostow erwähnten Städte Lyman und Isjum.
Am Freitagabend veröffentlichte Prigoschin dann eine ganze Serie wütender Audiobotschaften. Man sei bereit gewesen, dem Ministerium entgegenzukommen, die Waffen abzugeben und eine Lösung zu finden, „wie wir weiter das Land schützen sollen“, sagte Prigoschin. Das bezog sich offenbar auf Schojgus jüngste Anordnung an alle russischen „Freiwilligenverbände“ wie Wagner, sich bis zum 1. Juli dem Verteidigungsministerium zu unterstellen. „Aber dieses Dreckspack hat sich nicht beruhigt“, sondern habe Wagners Trainingslager mit Raketen angegriffen. „Eine enorme Anzahl von Kriegern, unserer Kampfkameraden, ist getötet worden. Wir werden entscheiden, wie wir auf diese Gräueltat antworten. Der nächste Schritt wird unser sein.“
Dazu wurde ein eineinviertel Minuten kurzes Video verbreitet, das Folgen eines angeblichen Angriffs auf ein Wagner-Lager zeigen soll. Es stammt von Prigoschins Leuten und ist laut dem exilrussischen Newsportal „Medusa“ wahrscheinlich eine Fälschung. So sieht man auf den Bildern keine Einschlagstrichter oder Geschossteile, zwei Männerstimmen nehmen sofort die Ukrainer aus der Verantwortung und schieben die Schuld den „Verbündeten“, der russischen Armee also, zu. Ein anscheinend abgerissenes menschliches Körperteil wirkt nicht frisch. Das Verteidigungsministerium wies Prigoschins Darstellung zurück und sprach von einer „informationellen Provokation“.
„Viele Tausende Leben russischer Soldaten vernichtet“
In einer weiteren Audiobotschaft sagte Prigoschin dann, der „Kommandeursrat“ der Wagner-Miliz habe entschieden: „Das Böse, das die militärische Führung des Landes verursacht, muss gestoppt werden.“ Man werde die „Gerechtigkeit“ zurückbringen und diejenigen, die „viele Tausende Leben russischer Soldaten vernichtet haben“, bestrafen. Jeder Widerstand werde „unverzüglich vernichtet“. Das gelte für alle Kontrollpunkte und „jedwede Luftwaffe, die wir über unseren Köpfen sehen“. Prigoschin stellte klar, dass er sich nur gegen die Militärführung wende. „Die Präsidentenmacht, die Regierung, das Innenministerium, die Nationalgarde und andere Strukturen werden weiter in der üblichen Ordnung arbeiten. Wir befassen uns mit denen, die russische Soldaten vernichten, und kehren an die Front zurück. Die Gerechtigkeit in der Truppe wird wieder hergestellt, und danach die Gerechtigkeit in ganz Russland.“
Alsbald behauptete Prigoschin, Schojgu sei um 21 Uhr „feige aus Rostow geflohen“. Der Minister habe nicht erklären wollen, warum er Hubschrauber habe aufsteigen lassen, „um unsere Jungs zu vernichten“, und warum er Raketenschläge angeordnet habe, werde aber aufgehalten. Ziel des angeblichen Militärschlags gegen die Wagner-Miliz sei es gewesen, „ungehorsame Einheiten zu vernichten, die bereit sind, die Heimat zu schützen, aber nicht ihre Ärsche“, sagte Prigoschin über seine Gegner.
Der Milizenführer bezifferte die Zahl seiner Männer auf 25.000 – über wie viele er wirklich verfügt, ist unklar. „Die ganze Armee und das ganze Land“ seien seine „strategische Reserve“, sagte Prigoschin und rief alle dazu auf, sich ihm anzuschließen, „um diesem Unfug ein Ende zu machen“. Es handele sich „nicht um einen Militärputsch“, sagte Prigoschin bald darauf, sondern um einen „Marsch der Gerechtigkeit“. Man störe die Soldaten nicht, deren Mehrheit „uns glühend unterstützt“, erhalte Mitteilungen des Dankes: Endlich werde es jemand erreichen, dass den Soldaten Munition gegeben werde und sie nicht länger als Kanonenfutter geopfert würden. Gerade habe er, Prigoschin, erfahren, dass Schojgu befohlen habe, in einer Rostower Leichenhalle 2000 Leichen zu verstecken, „um die Verluste nicht zu zeigen“.
„Jetzt gehen wir nach Rostow“
Prigoschin sagte, man habe die Grenzen überschritten, Grenzer und Wagner-Milizionäre hätten einander umarmt. „Jetzt gehen wir nach Rostow“, sagte Prigoschin. Ihnen würde nur Wehrpflichtige entgegengestellt, die gingen aber beiseite, „wir kämpfen nicht mit Kindern, wir töten Kinder nicht“. Nur Schojgu töte Kinder, „wenn er nicht ausgebildete Soldaten, unter ihnen Wehrpflichtige, in den Krieg wirft“. Man reiche jedem die Hand, sagte Prigoschin und rief dazu auf, das Angebot anzunehmen, da ansonsten Vernichtung drohe. „Wir gehen weiter, wir gehen bis zum Ende.“
Belegfrei behauptete Prigoschin gegen halb drei Ortszeit, Gerassimow habe angeordnet, aus Kampfflugzeugen das Feuer auf Kolonnen ziviler Fahrzeuge zu eröffnen“, doch hätten sich die Piloten geweigert, die „verbrecherischen Befehle“ zu befolgen. Knapp eine Stunde später sagte Prigoschin, offenbar mit Blick auf die Mitteilung des FSB vom „Stoß in den Rücken“ der Armee, man hindere nur „Verbrecher, die rund 100.000 russische Soldaten vernichtet haben, daran, ihren Arsch zu retten: Gerassimow und Schojgu.“
Später behauptete Prigoschin, Wagner habe einen Kampfhubschrauber abgeschossen und eine Barriere auf der Autobahn M4 vernichtet. Die Straße verbindet das südwestrussische Gebiet Krasnodar, wo Wagner sein Hauptlager hat, über Rostow mit der Hauptstadt. „Wir sind alle bereit, zu sterben, alle 25.000. Und danach noch 25.000. Denn wir sterben für die Heimat, das russische Volk.“ Um sieben Uhr Ortszeit behauptete Prigoschin, gekämpft werde dort, wo die Militärführung den Soldaten falsche Informationen gebe. Viele Soldaten, Polizisten, Nationalgardisten liefen über, schon „60, 70“ seien zu Wagner gestoßen, „obwohl wir noch keinen großen Weg zurückgelegt haben. Ich glaube, die halbe Armee ist bereit, mit uns zu gehen.“„Einen Bürgerkrieg im Land zu entfesseln, das fehlt uns gerade noch“
Bilder aus Rostow zeigen Bewaffnete und Panzer im Stadtzentrum. Dabei war teils unklar, ob es sich um reguläre Soldaten oder um Prigoschins Leute handelte. Der Rostower Gouverneur empfahl den Bewohnern des Gebiets, in ihren Häusern zu bleiben. Auch in Moskau wurden am späten Freitagabend gepanzerte Fahrzeuge im Stadtzentrum gefilmt. Am Samstagmorgen verkündeten der Bürgermeister der Hauptstadt und der Gouverneur des Moskauer Gebiets „antiterroristische Maßnahmen“ wie zusätzliche Straßenkontrollen. Aus Sankt Petersburg wurde eine Razzia im dortigen Wagner-Hauptquartier gemeldet. Die Regierung des westrussischen Gebiets Woronesch, das an das Rostower Gebiet grenzt, berichtete über eine Kolonne von Militärtechnik, die sich auf der M4 bewege, und rief dazu auf, die Straße nicht zu nutzen. Die Lage sei „unter Kontrolle“.
Prigoschins Söldner sind seit Jahren im Donbass und an anderen Schauplätzen wie Syrien aktiv. Als die Lage an den ukrainischen Fronten im vergangenen Jahr schwierig wurde, witterte Prigoschin offenkundig eine Chance. Vom vergangenen Sommer rekrutierte in russischen Straflagern Tausende Häftlinge, die für Wagner an die Front zogen. Das wäre ohne Zutun des Militärs und des FSB nicht möglich gewesen.
Im Oktober triumphierte Prigoschin, als ein ihm bekannter General, Sergej Surowikin, das Kommando über die Ukraineinvasion erhielt. Doch mit anderen Teilen des Apparats gab es Reibereien, die schließlich dazu führten, dass Prigoschin die Rekrutierung in den Straflagern untersagt worden sein soll. Erster sichtbarer Erfolg wurde für den Milizenführer die Einnahme des zerstörten Ortes Soledar im Januar, den auch das Verteidigungsministerium sowie das Staatsfernsehen dann Wagner zuschrieben. Im Kampf um das benachbarte Bachmut hat Prigoschin nach eigenen Angaben 20.000 Mann verloren, andere vermuten noch mehr Tote. Surowikin musste das Kommando über die Invasionstruppen schon im Januar an den Generalstabschef abgeben, ist seither einer von drei Stellvertretern Gerassimows und soll unter anderem die Zusammenarbeit mit Wagner koordinieren.
In der Nacht auf Samstag appellierte Surowikin an die Wagner-Milizionäre, „anzuhalten“ und nicht „dem Gegner in die Hände zu spielen in dieser für das Land schweren Zeit“. Es sei „noch nicht zu spät, sich dem Willen und Befehl des vom ganzen Volk gewählten Präsidenten der Russischen Föderation unterzuordnen, die Kolonnen anzuhalten und alle Probleme auf friedlichem Wege zu lösen“. Auch GRU-Mann Alexejew meldete sich zu Wort, sprach wie der FSB von einem „Stoß in den Rücken“ und einem „Staatsstreich“. „Einen Bürgerkrieg im Land zu entfesseln, das fehlt uns gerade noch“, sagte Alexejew. Wenige Stunden später erschien derselbe Mann schon als Prigoschins Gesprächspartner in Rostow, bewacht von Wagner-Kämpfern.
Für den Kreml durchlebt Russland gerade einen bewaffneten Putschversuch. Dagegen beschreibt Jewgenij Prigoschin einen „Marsch für Gerechtigkeit“ – und darin konnte der 62 Jahre alte Anführer der Wagner-Miliz keine zwölf Stunden nach Beginn der jüngsten Volte der Eskalation seines Dauerringens mit der Militärführung einen ersten Erfolg erzielen. Offenbar treffen Berichte zu, denen zufolge Prigoschins Leute den Stab des Südlichen Militärbezirks in der südwestrussischen Stadt Rostow am Don kontrollieren.
Sonst wäre es kaum zu Bildern gekommen, die Prigoschin im Gespräch mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Junus-Bek Jewkurow sowie mit Wladimir Alexejew, einem stellvertretenden Leiter des Militärgeheimdiensts GRU, zeigen und die der mit Wagner verbundene Telegram-Kanal „Grey Zone“ veröffentlicht hat. Prigoschin sagt auf den Aufnahmen, man werde alles vernichten, was gegen seine Leute aufgeboten werde. Er spricht von schon drei Abschüssen. Jewkurow atmet tief durch, sagt dann etwas, was Prigoschin auffahren lässt: „Wer sind Sie, mich zu duzen?“, fragt er Jewkurow. Der siezt ihn fortan. Prigoschin sagt, man sei gekommen, um Generalstabschef Valerij Gerassimow und Verteidigungsminister Sergej Schojgu aufzugreifen. „Wir retten Russland“
Das sind die beiden Widersacher, deren Erschießung Prigoschin schon öffentlich gefordert hat. Ihnen gilt sein neuer, innerrussischer Feldzug. Solange man die beiden nicht bekomme, bleibe man hier, blockiere Rostow. „Wir gehen nach Moskau“, sagt er auch. Prigoschin verspricht Schojgus Stellvertreter, das reguläre Militär nicht daran zu hindern, die Truppen in der Ukraine aus Rostow zu befehligen. GRU-Mann Alexejew sagt, in Kiew werde jetzt gefeiert. Prigoschin hält ihm entgegen, das größere Fest sei bei dem Rückzug aus (ostukrainischen) Orten wie Lyman und Isjum gewesen, die das russische Militär im vergangenen Herbst verließ. „Wir fliehen nirgendwohin“, sagt Prigoschin. „Wir sind gekommen, um die Schande des Landes zu beenden, in dem wir leben.“ Prigoschin sagt auch: „Wir retten Russland.“
In einem anderen Video, das ebenfalls aus dem Stab des Südlichen Militärbezirks stammen soll, sagt Prigoschin, Wagner kontrolliere den Militärflughafen von Rostow. Jedoch nur, damit die Luftwaffe ausschließlich die Ukrainer angreife und „nicht uns“. Man habe im Stab in Rostow „viel Neues“ herausgefunden, sagt Prigoschin: Es fielen drei- bis viermal mehr Soldaten, als das „nach oben“ gemeldet werde. Und was dorthin gemeldet werde, sei immer noch zehnmal mehr als das, was „im Fernsehen“ erzählt werde. Auf russischer Seite fielen zu 1000 Personen am Tag, würden verwundet oder verschwänden, sagt Prigoschin. Generalstabschef Gerassimow sei aus Rostow geflohen, als er erfahren habe, dass „wir kommen“, sagt Prigoschin und nickt dann einer Frau freundlich zu, die an ihm vorüber geht, wohl zur Arbeit im Stab.
Wie sich Prigoschins Aufstand entwickeln wird, ist am Samstagmorgen unklar. Eine weitere, frühe Folge jedoch ist offensichtlich: Der Milizenführer hat den Bogen nun wirklich so überspannt, dass sich Wladimir Putin einschalten muss. Über Monate hatte der Präsident dem immer weiter eskalierenden Machtkampf zwischen Prigoschin und Schojgu augenscheinlich tatenlos zugesehen. Er hatte nicht nur die ständigen Attacken des vom Gastrounternehmer zum Chef von Internetkommentatoren und Söldnern avancierten Prigoschin auf die Militärführung hingenommen, sondern offenkundig auch die auf ihn selbst, Putin, zielenden Worte vom „glücklichen Großvater“, der sich aufgrund seiner Entrücktheit von realen Problemen an der Front als „vollendete Arschgeige“ erweisen könne.
Noch, als am Freitagabend bereits wüste Drohungen Prigoschins kursierten, veröffentlichte der Kreml ein Grußwort Putins zum „Tag der Jugend“ an diesem Samstag. Darin lobt der Präsident „die jungen Soldaten und Offiziere“, die „jetzt mutig und zuverlässig zum Schutz der Sicherheit und Souveränität unseres Staates aufgestanden sind“.
Am Samstag um zehn Uhr Moskauer Zeit wendet sich Putin dann mit einer kurzen Ansprache an die Bevölkerung, besonders aber an „diejenigen, die durch Täuschung oder Drohungen in dieses kriminelle Abenteuer gelockt und auf den Weg des schwersten Verbrechens, der bewaffneten Meuterei, getrieben wurden“. Putin spricht vor den braunen Paneelen, die Betrachter schon von seiner Ansprache zum Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 kennen. Russland, so der Präsident weiter, kämpfe um „um seine Zukunft“, müsse eine „Aggression von Neonazis und ihrer Herren“ abwehren; damit meint er den zum Verteidigungskampf stilisierten Ukrainekrieg.
„Praktisch die gesamte Militär-, Wirtschafts- und Informationsmaschinerie des Westens ist gegen uns gerichtet“, klagt Putin. „Wir kämpfen für das Leben und die Sicherheit unserer Leute, für unsere Souveränität und Unabhängigkeit. Für das Recht, Russland zu sein und zu bleiben – ein Staat mit einer tausendjährigen Geschichte.“ Dieser Kampf, sagt Putin, erfordere „die Einheit aller Kräfte, Einigkeit, Konsolidierung und Verantwortung“. Darin müsse „alles, was uns schwächt, jede Art von Zwietracht, die unsere äußeren Feinde nutzen können und nutzen, um uns von innen zu untergraben, beiseite geschoben werden“. Putin nennt Prigoschin in der gesamten Ansprache nicht beim Namen, spricht von „Aktionen, die unsere Einheit spalten“. Die seien ein „Abfall vom eigenen Volk, von unseren Kampfkameraden, die gerade an der Front kämpfen. Es ist ein Stoß in den Rücken unseres Landes und unseres Volkes.“„Unsere Maßnahmen werden hart sein“
Dann wird Putin, wie oft in seinen Reden, historisch, vergleicht die Lage mit der von 1917, „als das Land den Ersten Weltkrieg führte“ und spricht von der „Tragödie des Bürgerkriegs“ zwischen den Anhängern des Zaren und der Bolschewiken. „Russen töteten Russen, Brüder töteten Brüder“ und den Nutzen hätten „alle möglichen politischen Abenteurer und ausländischen Kräfte“ gehabt, „die das Land spalteten und auseinanderrissen“. Putin sagt: „Wir werden nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt. Wir werden sowohl unser Volk als auch unsere Staatlichkeit vor allen Bedrohungen schützen. Auch vor dem inneren Verrat.“ Eben damit habe man es jetzt zu tun: „Übertriebener Ehrgeiz und Eigeninteressen haben zu Verrat geführt. Verrat am eigenen Land, am eigenen Volk und an der Sache, für die die Kämpfer und Kommandeure der Gruppe Wagner an der Seite unserer anderen Einheiten gekämpft haben und gestorben sind.“
Putin würdigt Eroberungen von Orten, die mit Wagner verbunden werden, erinnert an sein „Neurussland“-Expansionsprojekt und die „Einheit der russischen Welt“. Diejenigen, die nun den „Aufstand“ anzettelten, verrieten auch diejenigen, die dafür ihr Leben gegeben hätten, trieben „das Land zu Anarchie und Brudermord“, letztlich „in Richtung Niederlage und Kapitulation“.
Putin kündigt an: „Unsere Maßnahmen zur Verteidigung des Vaterlandes gegen eine solche Bedrohung werden hart sein. All diejenigen, die bewusst den Weg des Verrats eingeschlagen haben, die einen bewaffneten Aufstand vorbereitet haben, die den Weg der Erpressung und der terroristischen Methoden eingeschlagen haben, werden die unvermeidliche Strafe erleiden, werden sich sowohl vor dem Gesetz als auch vor unserem Volk verantworten müssen.“„Stoß in den Rücken“ der russischen Soldaten
aufgerufen.
Bis zu den Bildern aus Rostow vom Samstagmorgen, die Prigoschin mit Jewkurow und Alexejew zeigten, war der Aufstand freilich recht virtuell geblieben, wie eine neue Geschichte auf dem Pressedienst-Telegram-Kanal des Milizenführers zeigt. Dort erschienen am Freitagmorgen zunächst neue Einlassungen Prigoschins gegen Schojgu. Letzteren machte er für die Ende Februar 2022 begonnene große Invasion der Ukraine verantwortlich. Er folgte damit dem Muster, sich als Putins bester Kämpfer darzustellen und den „betrogenen“ Präsidenten zu entlasten. Doch bezeichnete Prigoschin Putins „Spezialoperation“ als „stümperhaft geplant“ und unterlief zugleich ein Kernnarrativ des Präsidenten, indem er sagte, die Ukraine und die NATO hätten nicht vorgehabt, Russland anzugreifen. „Der nächste Schritt wird unser sein“
Bald darauf verbreitete Prigoschin, dass er Anzeige gegen Schojgu und Gerassimow erstattet habe. Sie müssten sich wegen „Genozids am russischen Volk, Tötung Tausender friedlicher russischer Bürger und der Übergabe russischer Gebiete an den Feind“ verantworten. Er bezog sich offenbar auf zeitweise von Russland besetzte Gebiete, aus denen sich die Invasoren dann unter ukrainischem Druck zurückzogen, wie die von ihm dann am Samstagmorgen in Rostow erwähnten Städte Lyman und Isjum.
Am Freitagabend veröffentlichte Prigoschin dann eine ganze Serie wütender Audiobotschaften. Man sei bereit gewesen, dem Ministerium entgegenzukommen, die Waffen abzugeben und eine Lösung zu finden, „wie wir weiter das Land schützen sollen“, sagte Prigoschin. Das bezog sich offenbar auf Schojgus jüngste Anordnung an alle russischen „Freiwilligenverbände“ wie Wagner, sich bis zum 1. Juli dem Verteidigungsministerium zu unterstellen. „Aber dieses Dreckspack hat sich nicht beruhigt“, sondern habe Wagners Trainingslager mit Raketen angegriffen. „Eine enorme Anzahl von Kriegern, unserer Kampfkameraden, ist getötet worden. Wir werden entscheiden, wie wir auf diese Gräueltat antworten. Der nächste Schritt wird unser sein.“
Dazu wurde ein eineinviertel Minuten kurzes Video verbreitet, das Folgen eines angeblichen Angriffs auf ein Wagner-Lager zeigen soll. Es stammt von Prigoschins Leuten und ist laut dem exilrussischen Newsportal „Medusa“ wahrscheinlich eine Fälschung. So sieht man auf den Bildern keine Einschlagstrichter oder Geschossteile, zwei Männerstimmen nehmen sofort die Ukrainer aus der Verantwortung und schieben die Schuld den „Verbündeten“, der russischen Armee also, zu. Ein anscheinend abgerissenes menschliches Körperteil wirkt nicht frisch. Das Verteidigungsministerium wies Prigoschins Darstellung zurück und sprach von einer „informationellen Provokation“. „Viele Tausende Leben russischer Soldaten vernichtet“
In einer weiteren Audiobotschaft sagte Prigoschin dann, der „Kommandeursrat“ der Wagner-Miliz habe entschieden: „Das Böse, das die militärische Führung des Landes verursacht, muss gestoppt werden.“ Man werde die „Gerechtigkeit“ zurückbringen und diejenigen, die „viele Tausende Leben russischer Soldaten vernichtet haben“, bestrafen. Jeder Widerstand werde „unverzüglich vernichtet“. Das gelte für alle Kontrollpunkte und „jedwede Luftwaffe, die wir über unseren Köpfen sehen“. Prigoschin stellte klar, dass er sich nur gegen die Militärführung wende. „Die Präsidentenmacht, die Regierung, das Innenministerium, die Nationalgarde und andere Strukturen werden weiter in der üblichen Ordnung arbeiten. Wir befassen uns mit denen, die russische Soldaten vernichten, und kehren an die Front zurück. Die Gerechtigkeit in der Truppe wird wieder hergestellt, und danach die Gerechtigkeit in ganz Russland.“
Alsbald behauptete Prigoschin, Schojgu sei um 21 Uhr „feige aus Rostow geflohen“. Der Minister habe nicht erklären wollen, warum er Hubschrauber habe aufsteigen lassen, „um unsere Jungs zu vernichten“, und warum er Raketenschläge angeordnet habe, werde aber aufgehalten. Ziel des angeblichen Militärschlags gegen die Wagner-Miliz sei es gewesen, „ungehorsame Einheiten zu vernichten, die bereit sind, die Heimat zu schützen, aber nicht ihre Ärsche“, sagte Prigoschin über seine Gegner.
Der Milizenführer bezifferte die Zahl seiner Männer auf 25.000 – über wie viele er wirklich verfügt, ist unklar. „Die ganze Armee und das ganze Land“ seien seine „strategische Reserve“, sagte Prigoschin und rief alle dazu auf, sich ihm anzuschließen, „um diesem Unfug ein Ende zu machen“. Es handele sich „nicht um einen Militärputsch“, sagte Prigoschin bald darauf, sondern um einen „Marsch der Gerechtigkeit“. Man störe die Soldaten nicht, deren Mehrheit „uns glühend unterstützt“, erhalte Mitteilungen des Dankes: Endlich werde es jemand erreichen, dass den Soldaten Munition gegeben werde und sie nicht länger als Kanonenfutter geopfert würden. Gerade habe er, Prigoschin, erfahren, dass Schojgu befohlen habe, in einer Rostower Leichenhalle 2000 Leichen zu verstecken, „um die Verluste nicht zu zeigen“. „Jetzt gehen wir nach Rostow“
Prigoschin sagte, man habe die Grenzen überschritten, Grenzer und Wagner-Milizionäre hätten einander umarmt. „Jetzt gehen wir nach Rostow“, sagte Prigoschin. Ihnen würde nur Wehrpflichtige entgegengestellt, die gingen aber beiseite, „wir kämpfen nicht mit Kindern, wir töten Kinder nicht“. Nur Schojgu töte Kinder, „wenn er nicht ausgebildete Soldaten, unter ihnen Wehrpflichtige, in den Krieg wirft“. Man reiche jedem die Hand, sagte Prigoschin und rief dazu auf, das Angebot anzunehmen, da ansonsten Vernichtung drohe. „Wir gehen weiter, wir gehen bis zum Ende.“
Belegfrei behauptete Prigoschin gegen halb drei Ortszeit, Gerassimow habe angeordnet, aus Kampfflugzeugen das Feuer auf Kolonnen ziviler Fahrzeuge zu eröffnen“, doch hätten sich die Piloten geweigert, die „verbrecherischen Befehle“ zu befolgen. Knapp eine Stunde später sagte Prigoschin, offenbar mit Blick auf die Mitteilung des FSB vom „Stoß in den Rücken“ der Armee, man hindere nur „Verbrecher, die rund 100.000 russische Soldaten vernichtet haben, daran, ihren Arsch zu retten: Gerassimow und Schojgu.“
Später behauptete Prigoschin, Wagner habe einen Kampfhubschrauber abgeschossen und eine Barriere auf der Autobahn M4 vernichtet. Die Straße verbindet das südwestrussische Gebiet Krasnodar, wo Wagner sein Hauptlager hat, über Rostow mit der Hauptstadt. „Wir sind alle bereit, zu sterben, alle 25.000. Und danach noch 25.000. Denn wir sterben für die Heimat, das russische Volk.“ Um sieben Uhr Ortszeit behauptete Prigoschin, gekämpft werde dort, wo die Militärführung den Soldaten falsche Informationen gebe. Viele Soldaten, Polizisten, Nationalgardisten liefen über, schon „60, 70“ seien zu Wagner gestoßen, „obwohl wir noch keinen großen Weg zurückgelegt haben. Ich glaube, die halbe Armee ist bereit, mit uns zu gehen.“„Einen Bürgerkrieg im Land zu entfesseln, das fehlt uns gerade noch“
Bilder aus Rostow zeigen Bewaffnete und Panzer im Stadtzentrum. Dabei war teils unklar, ob es sich um reguläre Soldaten oder um Prigoschins Leute handelte. Der Rostower Gouverneur empfahl den Bewohnern des Gebiets, in ihren Häusern zu bleiben. Auch in Moskau wurden am späten Freitagabend gepanzerte Fahrzeuge im Stadtzentrum gefilmt. Am Samstagmorgen verkündeten der Bürgermeister der Hauptstadt und der Gouverneur des Moskauer Gebiets „antiterroristische Maßnahmen“ wie zusätzliche Straßenkontrollen. Aus Sankt Petersburg wurde eine Razzia im dortigen Wagner-Hauptquartier gemeldet. Die Regierung des westrussischen Gebiets Woronesch, das an das Rostower Gebiet grenzt, berichtete über eine Kolonne von Militärtechnik, die sich auf der M4 bewege, und rief dazu auf, die Straße nicht zu nutzen. Die Lage sei „unter Kontrolle“.
Prigoschins Söldner sind seit Jahren im Donbass und an anderen Schauplätzen wie Syrien aktiv. Als die Lage an den ukrainischen Fronten im vergangenen Jahr schwierig wurde, witterte Prigoschin offenkundig eine Chance. Vom vergangenen Sommer rekrutierte in russischen Straflagern Tausende Häftlinge, die für Wagner an die Front zogen. Das wäre ohne Zutun des Militärs und des FSB nicht möglich gewesen.
Im Oktober triumphierte Prigoschin, als ein ihm bekannter General, Sergej Surowikin, das Kommando über die Ukraineinvasion erhielt. Doch mit anderen Teilen des Apparats gab es Reibereien, die schließlich dazu führten, dass Prigoschin die Rekrutierung in den Straflagern untersagt worden sein soll. Erster sichtbarer Erfolg wurde für den Milizenführer die Einnahme des zerstörten Ortes Soledar im Januar, den auch das Verteidigungsministerium sowie das Staatsfernsehen dann Wagner zuschrieben. Im Kampf um das benachbarte Bachmut hat Prigoschin nach eigenen Angaben 20.000 Mann verloren, andere vermuten noch mehr Tote. Surowikin musste das Kommando über die Invasionstruppen schon im Januar an den Generalstabschef abgeben, ist seither einer von drei Stellvertretern Gerassimows und soll unter anderem die Zusammenarbeit mit Wagner koordinieren.
In der Nacht auf Samstag appellierte Surowikin an die Wagner-Milizionäre, „anzuhalten“ und nicht „dem Gegner in die Hände zu spielen in dieser für das Land schweren Zeit“. Es sei „noch nicht zu spät, sich dem Willen und Befehl des vom ganzen Volk gewählten Präsidenten der Russischen Föderation unterzuordnen, die Kolonnen anzuhalten und alle Probleme auf friedlichem Wege zu lösen“. Auch GRU-Mann Alexejew meldete sich zu Wort, sprach wie der FSB von einem „Stoß in den Rücken“ und einem „Staatsstreich“. „Einen Bürgerkrieg im Land zu entfesseln, das fehlt uns gerade noch“, sagte Alexejew. Wenige Stunden später erschien derselbe Mann schon als Prigoschins Gesprächspartner in Rostow, bewacht von Wagner-Kämpfern.