Hallo zusammen,
ich lese häufig hier und auch anderswo im Netz von der guten und wichtigen Oppositionsarbeit, die einige Parteien (z.B. Die Linke) im deutschen Bundestag leisten. Persönlich muss ich aber gestehen, dass ich mir darunter relativ wenig vorstellen kann.
In diesem Video des Bundestages werden als wichtigste Aspekte genannt:
- Durch die Redezeit im Bundestag können sie Abgeordnete anderer Fraktionen aufklären und umstimmen.
- Durch Anfragen verschiedenster Arten können sie die Regierung kontrollieren.
Bei beiden Aspekten sehe ich allerdings keinen großen Hebel, insbesondere da die Regierung zumeist einstimmig abstimmt und nur selten die Abgeordneten individuell entscheiden.
Übersehe ich wichtige Aufgaben? Unterschätze ich den Einfluss? Findet die eigentliche Überzeugungsarbeit und Einflussnahme ggf. bereits in den Ausschüssen statt, bevor ein Anliegen überhaupt in den Bundestag gelangt? Kann man diesen Einfluss verschiedener Oppositionsparteien irgendwie objektiv messbar machen?
PS: Ich poste dies bewusst in DACH, da mich auch Ähnlichkeiten und etwaige Unterschiede zu unseren Nachbarn interessieren würden.
VG, rbn
Das geht auch andersrum: der Bundesrat, der Gesetzesänderung aus dem Bundestag schlussendlich zur Umsetzung zustimmen muss, kann von einer Mehrheit oppositionell besetzt sein. Das heißt für die Regierung, dass sie das Gesetz so gestalten muss, dass es dort Zustimmung findet und somit schlussendlich eine große Beeinflussung durch die nicht regierenden Parteien.
Die CxU zum Beispiel blockiert gern alles fortschrittliche, weswegen u.a. seit Jahrzehnten Stillstand hinsichtlich nennenswerter Veränderungen herrscht.
Die Ergebnisse der Anfragen, z.B. der Linken, kommen aber immer mal wieder in die Medien und so in den Fokus. der Öffentlichkeit
Ohne die wüsste ich wahrscheinlich nicht, dass Deutschland “Opfer”-Renten an Kriegsverbrecher zahlt (Spiegel) oder dass die Zahl der Sozialwohnungen um fast 400.000 geschrumpft ist (Rheinische Post).
Danke, das sind gute Beispiele. Aber sind derartige Anfragen bzw. Investigativrecherchen denn einer parlamentarischen Opposition vorbehalten? Könnten solche Aufgaben nicht auch andere Organisationen erfüllen (ich denke zum Beispiel an Frag den Staat)?
Und spielt es bei einer Oppositionspartei in dieser Hinsicht eine Rolle, wie groß sie ist? Dürfte zum Beispiel eine Partei mit 15% mehr oder umfangreichere Anfragen stellen als eine mit 5%?
Abgeordnete haben legalen Zugriff auf Informationen, den Außenstehende so nicht haben.
Vom Grund her “können” tun es auch andere, wie z.B. von die benannt Frag den Staat. Wie @[email protected] und @[email protected] geschrieben haben, gibt es verschiedene Privilegien, die Abgeordnete auch der Opposition haben. Das ist auch bewusst so konzipiert.
Letztlich muss das “man könnte es auch anders machen” auch irgendwo mit der Politik verknüpft sein. Also nicht nur “warum macht es keiner anders?!” Sondern auch “ahh die sagen, man soll es anders machen, und die kann ich wählen.”
Ich denke die Skepsis ggü. der Rolle der parlamentarischen Opposition ist auch ein Ergebnis von 16 Jahren Merkel mit 12 Jahren davon GroKo. Da wurde einfach durchregiert, weil selbst eine größere Zahl Abweichler in den Reihen der Regierungsparteien nicht weiter gestört hätte.
Zu der Wahrheit gehört dann eben auch, dass die Wählenden in den letzten zwei Jahrzehnten mehrheitlich kein lebhaftes Parlament und keine gute Opposition wollten.
Gewisse Statistiken sind nur dem Staat bekannt. Da kann dann eine externe Person versuchen Zugriff drauf zu kriegen, aber da wird gerne auch mal geblockt. Wenn die Anfrage vom Bundestag kommt, ist das nicht unmöglich, aber schwieriger zu blocken.
Außerdem gibt es den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, welcher vom Steuerzahler finanziert Zusammenfassungen für die Politiker schreibt. Das kann zwar auch von nicht staatlichen Stellen gemacht werden, aber durch die staatliche Stütze ist es natürlich langfristig tragbar und zukunftssicherer als ein Verein der auf Spenden angewiesen ist
Es gibt einige Themen die die Linke anspricht, die SPD und Grüne nicht unerwähnt lassen können. Z.b. haben wir den Mindestlohn nicht weil die SPD so geil und die CDU so christlich ist, sondern weil das die Linke angefangen hat das Thema zu besetzen. Und wenn jemand mit 4€ Stundenlohn einmal vom Mindestlohn gehört hat, aber die SPD nicht mitzieht, fragt der sich zurecht warum er die SPD wählen sollte.
Es gibt auch Meldungen wie die hier:
Die nur zustande kommen können weil die Linke etwas mit Bundestagsprivilegien anfragt, das dann objektiv und fair beantwortet werden muss und die Linke die Antwort mit den Medien teilt.
Ähnliches bei Altersarmut: https://taz.de/Altersarmut-in-Deutschland/!6031717/
Komische Ausgaben: https://www.deutschlandfunk.de/regierung-verursachte-mit-reisen-zu-em-spielen-flugkosten-von-rund-530-000-euro-100.html
Altersarmut bei Frauen: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/altersarmut-frauen-101.html
Das sind alles Themen zu denen die anderen Parteien, besonders die Regierungsparteien eigentlich lieber schweigen würden, weil das immer offenbahrt das sie einen nicht so genialen Job machen.
Ich halte die Reden tatsächlich für ziemlich bedeutungslos, ich glaube nicht das sich da jemand überzeugen lässt. Die sind höchstens Medienwirksam.
Vielen Dank für deinen ausführlichen Beitrag.
Z.b. haben wir den Mindestlohn nicht weil die SPD so geil […] ist, sondern weil das die Linke angefangen hat das Thema zu besetzen
Ich war ehrlich gesagt immer der Meinung, dass SPD, Grüne und Linke allesamt für die Einführung des Mindestlohns gekämpft hatten. Hast du eine Quelle dazu? In der Wikipedia liest es sich sogar eher wie ein Projekt von Rot-Grün:
Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg (Kabinett Kretschmann I) brachte im Dezember 2011 gemeinsam mit Rheinland-Pfalz und Hamburg einen Entschließungsantrag für die Einführung eines Mindestlohns in den Bundesrat (BR) ein.
Vom inhaltlichen Punkt abgesehen, finde ich diese Perspektive aber sehr valide, dass Oppositionsparteien durch laute Forderungen die Regierung in einem gewissen Rahmen vor sich hertreiben können und sie dazu zwingen, sich zu positionieren. Ob nun in die eine oder andere Richtung aber sie müssen der Öffentlichkeit gegenüber Stellung beziehen, wie sie die Frage sehen.
Wäre die breite Öffentlichkeit politikinterresierter wäre die Wirkung sicher noch deutlich größer, aber das ist trotzdem ein gutes Argument.
Ich war ehrlich gesagt immer der Meinung, dass SPD, Grüne und Linke allesamt für die Einführung des Mindestlohns gekämpft hatten.
Ja, aber die Linken waren ziemlich sicher zuerst dran. Ganz genau weiß ich es auch nicht aber hier gibt es eine Quelle:
2002: Erster Antrag zum Mindestlohn im Deutschen Bundestag: „Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohns“, PDS-Bundestagsfraktion (Drucksache Nr.: 14/8921 vom 25.04.2002), alle anderen Fraktionen lehnen, u. a. die SPD unter Hinweis auf die Tarifautonomie, ab.
Januar 2006: DIE LINKE bringt ihren ersten Antrag in den Deutschen Bundestag ein, in dem sie einen Mindestlohn von 8 Euro pro Stunde fordert (Drucksache 16/398). Der Antrag wird von allen anderen Fraktionen abgelehnt.
Danke, sehr interessant und stützt auf jeden Fall deine These mit dem Druckaufbau!
Du unterschätzt vor allem die Anfragen gewaltig. Das sind sehr scharfe Messer. Damit erzwingt die Opposition bis tief in die Behörden und Ministerien Informationen freizugeben.
Ich hab mal im öffentlichen Dienst gearbeitet. Wenn da ne Anfrage unseren Bereich betroffen hat, dann wurde alles stehen und liegen gelassen, um die Infos beizuschaffen. Das fand ich sehr eindrücklich, wie sehr da die Regierungen vor zittern die richtigen Infos zu beschaffen.
In weniger politisierten Fachausschüssen gibt es da sicher Vorabkompromisse mit der Opposition, auch wenn man ehrlich sein muss das der Einfluss vermutlich begrenzt ist. In Deutschland zumindestens sind die meißt öffentlich und man kann zuschauen, leider stärkt dieses Erlebnis oft ehr die Politikverdrossenheit wenn man den angeblichen Fachpolitikern beim Sudoku spielen und Bildzeitunglesen bei solchen Ausschüssen zuschauen kann.
Ansonsten gibt es natürlich noch parlamentarische Kontrolgremien für Geheimdienste z.B. und von der Opposition eingeleitete Untersuchungsausschüsse.
Allgemein ist parlamentarische Opposition etwas öffentlichkeitswirksamer, und bei den typischen Berufspolitikern der großen Parteien die keine wirklich eigene Meinung haben sondern ihr handeln nach Umfrageergebnissen, Zeitungsartikeln und Lobbygesprächen ausrichten kann das durchaus einen mäßigen Einfluss haben.
Die eigentliche politische Überzeugungsarbeit findet durch die inoffizielle außerparlamentarische Regierung in Form von “Parteispenden”, “Beraterverträgen” und Aufsichtsratspöstchen statt.
Das mag zwar in Teilen zutreffen, ich sehe so eine Einstellung aber eher als Kopf in den Sand stecken. Wenn man das so absolut sieht, könnte man sich die Wahl auch gleich schenken. Ich sehe in der politischen Parteienlandschaft aber durchaus noch deutliche Unterschiede, was Transparenz und Korruption anbelangt und glaube, dass meine Stimme (ein kleines) Gewicht hat.
Eine brauchbare Opossition kann immer noch die Öfffentlichkeit über Dinge informieren, auf die Nichtmitglieder des Parlaments keinen Zugriff haben. Dadurch besteht die Hoffnung, dass die Öffentlichkeit vielleicht irgendwann aufhört, die Leute zu wählen, die nur für monetäre Arten der Meinungsbildung empfänglich sind.
Schön gallig und giftig und doch so treffend formuliert. Gefällt mir.
Ohne die Opposition tanzen die regierenden Fraktionen auf den Tischen. Das Gegenstimmen ist so eine Art Erinnerung, dass, wenn sich die Regierung nicht am Riemen reißen kann, die Opposition an Macht gewinnen kann. Oppositionsarbeit ist Machterhalt beider Seiten, weil es der Regierung Legitimität und der Opposition Öffentlichkeit zusichern kann.
Durch die Redezeit im Bundestag können sie Abgeordnete anderer Fraktionen aufklären und umstimmen.
Dieser Einfluss dürfte marginal sein. Erstens, die Hauptarbeit findet in den Ausschüssen statt. Dort wird fraktionsübergreifend diskutiert und nach Lösungen gesucht, Vorschläge werden angenommen/abgelehnt. Zweitens, an der Parlamentssitzung nehmen dann dieselben Abgeordneten teil, die miteinander schon im Ausschuss alles ausdiskutiert haben und ihre Positionen gegenseitig gut kennen. Drittens, für die meisten Abstimmungen gilt der Fraktionszwang.
Reden im Bundestag sind in erster Linie für die Öffentlichkeit gedacht.
Es wurden ja schon ein paar Punkte angebracht, in denen die Opposition wichtige Arbeit macht und einen Hebel hat. Ich stelle hier aber mal eine vielleicht etwas ketzerische Frage: Die Opposition ist ja in der Regel die Minderheit im Parlament. Wäre es dann nicht undemokratisch, wenn sie einen großen Einfluss hätte? Ich wünsche mir (wie wohl die meisten hier) einen größeren Einfluss linker Parteien, aber die Opposition ist nicht nur links sondern auch rechts.
Ja, da bin ich völlig bei dir.
Mir geht es im Endeffekt bei meiner persönlichen Wahlentscheidung darum, wie ich mit meiner Stimme möglichst viel erreichen kann. Und da ich eigentlich immer zwischen Grünen und Linke schwanke, bedeutete das für mich bislang, dass ich strategisch eher die Grünen wählen sollte. Dort halte ich eine Regierungsbeteiligung für wahrscheinlicher und damit, dass mir wichtige Themen Teil des Koalitionsvertrag werden.
Ich wollte mit diesem Faden einfach mal meinen eigenen Denkprozess hinterfragen und neue Perspektiven bekommen, was ggf. dafür spricht, doch Die Linke (oder allgemeiner: eine wahrscheinliche Oppositionspartei) zu wählen. Nicht in Bezug auf inhaltliche Aspekte, sondern eben auf ihre Rolle im nächsten Bundestag. Und da ich einfach viel zu wenig über die Arbeit der Opposition weiß, fand ich es an der Zeit, das zu ändern und dieses Wissen in diese und zukünftige Wahlentscheidungen miteinfließen zu lassen.